netzhalde

Die Dotcom-Blase war gerade geplatzt, als im Jahre 2000 das Künstlernetzwerk netzhalde mit der eingängigen Web-Adresse www.netzhal.de und dem vielsagenden Untertitel „kunst auf halde im netz“ gegründet wurde. Im Gegensatz zu den unzähligen Start-up-Unternehmen des damals gerade zu Ende gegangenen Internetbooms intendierten die Betreiber damit aber kein neues Spekulationsobjekt der IT-Branche, vielmehr sollten die spezifischen Möglichkeiten des Internets mit den speziellen Interessen der beteiligten Künstler sowie gleich gesinnter Kollegen im Sinne einer interaktiven, virtuellen Plattform verbunden werden. Damit entwickelten die Betreiber von netzhalde eine Frühform dessen, was inzwischen als Web 2.0 in aller Munde (und Rechner) ist.

Gleichwohl galt und gilt das Interesse der netzhalde-Künstler aber keineswegs ausschließlich dem Internet. netzhalde – bestehend aus den Bildhauern Karl-Heinz Einberger, Hannes Gamper, Valentin Goderbauer und Stefan Wischnewski – ist nämlich zugleich ein Label, das in wechselnder Besetzung „reale“ künstlerische Projekte verwirklicht. Dazu zählen ortsspezifische Interventionen ebenso wie Ausstellungen und temporäre Projekte, darunter etwa Auftritte mit einer mobilen Bar, an der ein eigens kreierter Cocktail namens Sculptorkiller kredenzt wird. So unterschiedlich dabei die Themen auf den ersten Blick erscheinen mögen, wenn es einmal ums Reisen (Resturlaub, Riga 2001), einmal ums Kochen (Kochstudio, München 2003) und ein andermal ums Wohnen geht (Stubenrocker, Köln 2004), so sehr belegen die Projekte bei näherem Hinsehen doch, dass ihnen eine vergleichbare konzeptuelle Haltung zugrunde liegt. Ein stets wiederkehrendes Motiv ist dabei das Moment der Verwandlung oder Umkodierung, bei der ein vertrauter Gegenstand oder eine bekannte Situation so verändert wird, dass plötzlich eine neue, manchmal sogar gegenteilige Funktion oder Bedeutung entsteht. Exemplarisch gilt dies etwa für die ortsspezifische Arbeit runter und drüber (Landshut 2004), bei der ein normaler Maschendrahtzaun auf einer Höhe von 3,50 Meter installiert wurde, so dass er die klassische Aufgabe eines Zaunes als Ab- und Begrenzung auf höchst kuriose Weise konterkariert.

Eine weitere Gemeinsamkeit, die sich bei fast allen Arbeiten von netzhalde beobachten lässt, ist das Thema der Kommunikation. Sie ist zentrales Motiv der erwähnten mobilen Bar, bildete aber auch den Hintergrund für das temporäre Projekt Stadtgarten Neustadt (Neustadt 2006), bei dem sich 34 niedersächsische Teilgemeinden, die zwangsweise zu einer einzigen Stadt zusammengeschlossen worden waren, in einer Art Wettbewerb um die schönste Bepflanzung von zentral aufgestellten Blumenkübeln messen durften und dadurch plötzlich miteinander ins Gespräch kamen. In solchen Projekten fungiert netzhalde als ein Katalysator: Erzeugt werden Situationen, die kommunikative Prozesse zwischen unterschiedlichen Gruppierungen in Gang setzen und damit die Mechanismen des Internets wieder an die Realität rückkoppeln.

rehburger

Um kommunikative Prozesse, ebenso sehr aber um Kulinarisches und Ortsspezifisches wird es im Sommer 2007 auch in Münster gehen, wenn netzhalde während der skulptur projekte münster 07 eine bislang unbekannte Delikatesse namens Rehburger samt 20.000 eigens dafür angefertigter Tüten unter das (Kunst-)Volk bringen wird. Als Zubereiter und damit gewissermaßen als Franchisenehmer dieses ungewöhnlichen Burgers fungiert ein Döner-Verkäufer gegenüber vom Westfälischen Landesmuseum. Über die Tüten, die zugleich als Einladung verschickt werden, sowie die Farbigkeit der Burger-Beilagen (eine orange Sauce und eine grüne Gurke) wird ein Bezug zum Label netzhalde hergestellt, das diese Farbkombination als Markenzeichen benutzt. Der Name Rehburger indes benennt nicht etwa das verwendete Fleisch (das tut der Hamburger bekanntlich auch nicht), sondern baut eine ortsspezifische kunsthistorische Verweiskette auf, die sich auf die Skulptur Projekte Münster von 1977 und 1997 bezieht, genauer gesagt: auf das für 1997 geplante, aber nicht realisierte Projekt von Tobias Rehberger, der seinerseits die 1977 entstandene Skulptur von Donald Judd als temporäre Bar nutzen wollte. Der Rehburger erweist sich mithin als essbare Hommage an Tobias Rehberger und dessen Hommage an Donald Judd. Die Tatsache, dass netzhalde hier allerdings nicht als eingeladene Künstlergruppe agiert, sondern sich von außen an das Münsteraner Großereignis andockt, belegt nicht nur die subtil-subversive Vorgehensweise der netzhalde-Betreiber, sondern führt schließlich auch wieder zur Thematik des Internets zurück: Der Rehburger nämlich verhält sich wie ein Trojaner, der in ein fremdes Netzwerk eingeschleust wird – freilich mit dem kleinen Unterschied, dass dieser Trojaner keine Dateien zerstört oder ausspioniert und obendrein noch sättigt.

Martina Fuchs